Meinung vs. Hate Speech
Was ist noch Meinung und wo beginnt Hate Speech (zu deutsch etwa „Hassrede“)? Wie können Betroffene gegen Hass im Netz vorgehen und wie sind die Erfolgsaussichten?
Ansgar Koreng ist Richter in Leipzig. Er hat als Rechtsanwalt gearbeitet, mit den Schwerpunkten Urheber- und Medienrecht, insbesondere Presse- und Äußerungsrecht. Seit 2013 ist er außerdem Lehrbeauftragter für Internetrecht an der Universität in Leipzig.
Definition und Abgrenzung
Was ist Hate Speech?
Ansgar Koreng (AK): Dafür gibt es keine einheitliche Definition. Im deutschen Recht kommt der Begriff „Hate Speech“ oder „Hassrede“ als solcher zum Beispiel gar nicht vor. Der Europarat verwendet den Begriff für jede Form von Äußerung, die Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von auf Intoleranz basierendem Hass rechtfertigt oder befördert.
Als kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich in Bezug auf „Hate Speech“ vielleicht festhalten, dass damit die sprachliche Abwertung einzelner Menschen oder Gruppen von Menschen gemeint ist. Hate Speech ist also eine Form der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“.
Was ist noch Meinung und wo beginnt Hassrede?
AK: Sie meinen die Linie, die zwischen freier Meinungsäußerung und Äußerungen verläuft, die geltendem Recht widersprechen? Grundsätzlich ist eine Äußerung erst einmal erlaubt. Soll eine Äußerung verboten werden, so bedarf das einer Begründung.
Das Grundgesetz erlaubt Einschränkungen der Meinungsfreiheit unter bestimmten Voraussetzungen. Sie kann ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre finden.
Bei der Beurteilung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit einer Äußerung ist immer eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit auf der einen Seite und den gegenläufigen Rechten auf der anderen Seite notwendig. Die Kriterien, die die Rechtsprechung dazu entwickelt hat, sind äußerst komplex. Zu komplex, um sie hier auf eine einfache Formel zu bringen.
Im Allgemeinen kann man aber sagen, dass die Meinungsfreiheit eine äußerst wichtige Stellung in unserer Verfassung hat. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete sie in der Vergangenheit als „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“ und als „eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft“. Der Schutz der Grundrechte bewährt sich dort, wo er weh tut und nicht dort, wo er nichts kostet. Daraus folgt, dass auch mehrheitlich als unangemessen aufgefasste Äußerungen in erheblich größerem Umfang gestattet sind, als dies die Mehrheitsgesellschaft als richtig empfindet. Viel von dem, was wir für „Hate Speech“ halten, ist rechtlich zulässig.
Wie man als Betroffener aktiv werden kann
Lässt die Meinungsfreiheit damit zu viel Raum für Hass im Netz?
AK: Die Rechtsprechung hat über Jahrzehnte Leitlinien entwickelt, um erlaubte Äußerungen von unzulässigen Äußerungen zu unterscheiden. Diese Leitlinien sind zwar in permanenter Entwicklung, aber im Großen und Ganzen haben sie sich bewährt. Ich denke – das ist meine ganz persönliche Meinung – dass man das Recht nicht überfordern sollte. „Hass“ ist ein Problem, das sich letztlich nicht mit den Mitteln des Rechts lösen lässt. Wer etwas anderes erwartet, kann nur enttäuscht werden.
Wie können Betroffene gegen Hass im Netz vorgehen und wie groß sind die Erfolgschancen?
AK: Aus rechtlicher Sicht bieten sich für Betroffene zwei Optionen: Sie können versuchen, strafrechtlich vorzugehen und bei der Polizei beziehungsweise der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige erstatten. Dann hat man es aber nur in begrenztem Umfang in der Hand, ob und wie das Verfahren weiter geführt wird. Die Gefahr besteht, dass die Ermittlungen an irgendeinem Punkt eingestellt werden. Sei es, weil der oder die Täter nicht ermittelt werden können, sei es, weil die Strafverfolgungsbehörden die Schuld des Täters als gering ansehen und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneinen. Das ist eine Ermessensentscheidung, gegen die man als Betroffener nur begrenzt vorgehen kann.
Und die zweite Rechtsoption für Betroffene?
AK: Die andere Option ist ein zivilrechtliches Vorgehen, also ein Klage- oder einstweiliges Verfügungsverfahren. Das ist aber mit erheblichen Kostenrisiken verbunden. Selbst wenn man gewinnt, bleibt man unter Umständen auf den Kosten des Verfahrens sitzen, wenn der andere kein Geld hat. Auch hier stellen sich im Übrigen Beweisprobleme. In keinem Fall hat man es als Betroffener leicht.
Anfang des Jahres ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft getreten. Kann es den Hass im Netz stoppen?
AK: Das NetzDG trifft keine Aussagen dazu, welche Äußerungen zulässig sind. Seine Vorschriften zielen vor allem auf eine verschärfte Haftung der Intermediäre, der Betreiber, ab. Das heißt, ein Betroffener soll grundsätzlich schneller erreichen können, dass Plattformbetreiber, zum Beispiel soziale Netzwerke und Forenbetreiber, unzulässige Inhalte löschen.
Ob sich dieser Effekt tatsächlich eingestellt hat, kann ich mangels belastbarer empirischer Erkenntnisse nicht sagen. Allerdings halte ich das Gesetz aus verschiedenen Gründen für problematisch. In Fachkreisen wird recht kontrovers die Frage diskutiert, ob das Gesetz mit dem Grundgesetz und dem Europarecht vereinbar ist.
Unabhängig davon meine ich, dass man mit Eingriffen in den öffentlichen Diskurs vorsichtig sein sollte. Wie gesagt: Hass ist ein Problem, das man mit Mitteln des Rechts nicht aus der Welt schaffen können wird. Was mir wichtiger erscheint, wäre eine Rückbesinnung auf die Tugend der Toleranz und grundlegende Regeln der Höflichkeit. So wäre sicherlich viel gewonnen, wenn sich jeder vor dem Klick auf den „Senden“-Button fragen würde: Möchte ich so, wie ich andere behandele, auch selbst behandelt werden?
Das Interview erschien zuerst auf der Webseite der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung.
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